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Szenenwechsel: Sternsysteme bestehen aus Milliarden und Aber­milliarden von Sternen. Wir selbst leben in einem Sternsystem, der Galaxis. Die Galaxis ist eine gewaltige Scheibe. Da wir uns in ihr befinden, mehr dem Rande zu als dem Zentrum (mit seinem schwarzen Superloch), erblicken wir von ihr nur die Projektion an den Himmel: die Milchstraße. Das Milchstraßensystem ist kein Einzelfall. Ganz in unserer Nähe, nur 2½ Millionen Lichtjahre von uns entfernt, ist ein vergleichbar großes Sternsystem bereits mit dem bloßen Auge auszumachen. Die ganze Pracht des Andromedanebels (Foto: R. Gendler) kommt allerdings erst auf langbelichteten Aufnahmen mit einem Weitwinkelteleskop zum Vorschein.
Von Hunderten von Milliarden Sonnen geht eine gewaltig Anziehung aus. Unkompensiert müsste ein solches Sternsystem binnen weniger 100 Millionen Jahre in sich zusammenstürzen. Wieder ist es die Fliehkraft, die für Dauer sorgt. Die diskusförmigen Spiralgalaxien rotieren. Wir selbst, die Sonne und ihr Planetensystem, benötigen für einen Umlauf um das galaktische Zentrum 250 Millionen Jahren. Als wir das letztemal «hier» waren, schrieb man das Perm ...

Die Fliehkraft ist gut, aber tut sie vielleicht des Guten zu viel? Dieser Eindruck drängt sich einem auf, studiert man die Rotations­geschwindigkeiten von Galaxien. Vom Planetensystem weiß wann, dass sich ein Planet um so langsamer bewegt, je weiter er von der Sonne weg ist. Ohne ersichtlichen Grund ist das bei einem Sternsystem anders. Die Umlaufgeschwindigkeit an der Peripherie ist fast die gleiche wie in Kernnähe, so als ob neben dem sichtbaren Stoff, den Sternen, noch ein obskures Zeug von opulenten Ausmaßen das Ganze einhüllte. Ohne einen solchen unsichtbaren aber schweren Halo zerrisse die Fliehkraft die Galaxie.

Abermaliger Szenenwechsel: Große Galaxienhaufen bestehen aus Tausenden von Galaxien. Wir selbst gehören einer kleinen Galaxienansammlung an, der sog. Lokalen Gruppe. Vom Andromedanebel war bereits die Rede. Zur Lokalen Gruppe zählen weiterhin der vergleichsweise kleine M 33-«Nebel» (Foto: R. Gendler) im Sternbild Dreieck, ein paar Galaxien, die man vor lauter Dreck (galaktischem Staub) kaum sieht, und gut zwei Dutzend Minigalaxien, darunter die Magellanschen Wolken am Südhimmel. In wirklich großen Galaxienhaufen, wie dem Virgo- oder Coma-Galaxienhaufen, sind Spiralnebel eher rar. Dort herrschen E-Galaxien vor, ellipsoidisch geformte Gebilde, meist ohne erkennbare Sternenscheibe. Aber das ist für das folgende ohne Belang.
Stillstand wäre auch in einem Galaxienhaufen auf Dauer tödlich. Unter der Wirkung der Schwerkraft aller durchfallen die Galaxien in einem Galaxienhaufen ihre Bahnen. Dank ihrer Geschwindigkeit stürzt das Gebilde nicht in sich zusammen. Aber halt, sind die Galaxien nicht vielleicht etwas zu schnell? Dies hatte sich jedenfalls der Astronom Fritz Zwicky in den 30-er Jahren des vorigen Jahrhunderts gefragt, als er gemessene Geschwindigkeiten von Galaxien mit der Geschwindigkeit verglichen hat, die man benötigte, um zu verhindern, dass ein Haufen weder in sich zusammenfällt noch auseinanderbricht. Selbst, wenn man die dunkle Materie in den Galaxien mit in Rechnung stellte, fände man, bei dem Tempo, das die Galaxien vorlegen, müssten alle Galaxienhaufen auseinanderstieben. Das ist unwahrscheinlich. Auch sie enthalten offenbar ein Mehr an Masse als man aufgrund der Anzahl von Galaxien erwartet, dunkle Materie auch hier in Hülle und Fülle.

Abell 2218 (Foto: NASA/HST)

Inzwischen kann man die Schwerewirkung der dunklen Materie in Galaxienhaufen sogar sehen (Foto: NASA/HST). Das Licht weit dahinter befindlicher Galaxien wird durch die Schwerkraft eines Haufens gekrümmt und verstärkt. Die gewaltigen Masseballungen wirken als Gravitationslinsen. (Auch außerhalb von Galaxienhaufen macht sich dieser Effekt in einer winzigen aber systematischen scheinbaren Verformung der Galaxien bemerkbar.) Einstein hatte so etwas theoretisch in Betracht gezogen, aber nur widerstrebend veröffentlicht. Er glaubte nicht, so etwas könne wirklich vorkommen. Heute sehen wir, wohin wir auch schauen, überall «Einsteinringe», oder Teile davon, wie die Lichtbögen auf der Abbildung von Abell 2218.

Was ist das für ein Material?

Eine Zeitlang dachte man, es handele sich, in Anbetracht der hohen Relativgeschwindigkeiten der Galaxien, um ein heißes baryonisches Gas, das da den Raum zwischen den Galaxien ausfüllt. Tatsächlich wurden Röntgensatelliten fündig. Galaxienhaufen sind voll von 100 Millionen Grad heißem intergalaktischen Gas. Aber die Menge, obwohl das Vielfache der Masse, die in Sternen steckt, reicht dennoch nicht vorne noch hinten, die Massediskrepanz zu erklären. Inzwischen weiß man, es ist zwecklos noch weiter nach fehlender baryonischer Materie zu suchen, jedenfalls nach derart riesigen Mengen. Der Kosmos darf höchstens zu vier Prozent aus Baryonen bestehen. Bei dem Stoff, der sich gravitativ so stark bemerkbar macht, kann es sich unmöglich um Baryonen handeln. Und noch etwas kommt hinzu. Die Strukturbildung im Kosmos, das Entstehen von Galaxien und Galaxienhaufen, spielt sich in nichtbaryonischem Material ab. Die Baryonen allein wären schwerlich in der Lage gewesen, etwas Ansehnliches hervorzubringen.

Doch dazu muss ich etwas ausholen. Folgen Sie mir hinab in die Ur- und Frühgeschichte des Universums!

Kosmische Hintergrundstrahlung

3-K-Hintergrundstrahlung

Hier das (k)älteste Bild der Welt (Foto: NASA/WMAP)! Es zeigt den Kosmos im zarten Alter von 400000 Jahren. (Nur dem Astronomen ist es vergönnt, Vergangenheit unmittelbar zu schauen: Der Blick in die Ferne ist immer auch ein Blick zurück.) Farbcodiert sind die Abweichungen der gemessenen Temperatur der Hintergrundstrahlung vom Mittelwert: 2,725 K (-270°C) dargestellt. Der Mikro­wellen­hinter­grund ist Relikt des heißen Urknalls. Wieso ist er dann so kalt? Nun, das Universum dehnt sich aus. Damit kühlt sich das darin befindliche Photonengas ab. Damals, als die 3-K-Strahlung entstand, hatte sie noch 3000 Grad. Der höllisch heiße Himmel glühte hochrot! Bei der Hitze war an Leben nicht zu denken. Aber Expansion sorgt für Abkühlung. (Öffnen Sie doch einmal an ihrem Fahrrad ein Ventil. Es kommt kalte Luft heraus, wegen der adiabatischen Entspannung.) Die Temperatur der Hinter­grund­strahlung fällt z.Z. um 0.2 Grad pro Jahrmilliarde.

Mittels elektromagnetischer Wellen (Radiowellen, Infrarotstrahlung, Licht, Röntgenstrahlung) ist es einem verwehrt, tiefer in die kosmische Vergangenheit vorzudringen. Oberhalb von 3000 Grad ist Wasserstoff ionisiert und der Kosmos war deshalb undurchsichtig. Von dem, was zuvor geschah, der Helium-Synthese beispielsweise, haben wir nur mittelbar Kenntnis. (Man kann aus dem gleichen Grund nicht ins Innere der Sonne schauen.) Das bedeutet aber keineswegs das Aus für die Forschung. (Wir wissen sehr wohl, was sich im Innern der Sonne abspielt.) Dem heißen Nebel der Schöpfungsfrühe sind jede Menge Relikte entstiegen, die wir studieren und deren Herkunft wir enträtseln müssen. Dazu zählen ganz normale Sachen wie Wasserstoff, Deuterium (das ist schwerer Wasserstoff), Helium, aber auch (derzeit noch unbeobachtbar) Gravitationswellen, ...

Doch zurück zu unserer Temperaturkarte. Die farbcodierten Temperaturschwankungen in Höhe von einigen hunderttausendstel Grad (!) sind echt, sie müssen echt sein (abgesehen von un­vermeid­baren Messfehlern). Ohne diese Schwankungen gäbe es uns nicht! Ein «unverrauschter» Kosmos hätte niemals irgendwas Bemerkenswertes zuwege gebracht.

Alles am Wärmestrahlungshintergrund ist ein Rätsel.

Der Rätsel Lösung lautet: Inflation. Unmittelbar nach dem Urknall muss sich das damals noch winzige Universum unvorstellbar aufgeplustert haben. Was vorher Kontakt miteinander hatte, wurde dabei auseinandergerissen. Das erklärt die ansonsten unverständliche Richtungsunabhängikeit der 3-K-Strahlung. Dann: Das Aufblähen war derart gewaltig, dass jegliche Raumkrümmung glattgebügelt wurde. Jede Erinnerung an einen wild verkrümmten vorinflationistischen Quantenkosmos wurde getilgt. Seither herrscht im Kosmos wie in der Schule die Euklidische Geometrie. Und das «Rauschen»? Es geht auf Quantenfluktuationen zurück, durch die Inflation makrosopisch verstärkt. In der Quantenära war eine angemessene «Liederlichkeit» Pflicht.

So viel zur Inflationstheorie. Sie erheischt einen «kritischen» Kosmos, einen Kosmos, der (enthielte er keine dunkle Energie) mit genau der Entweichgeschwindigkeit expandierte. Über den Mechanismus streiten sich die Geister, an der Tatsache, dass es so etwas wie eine inflationistische Phase gegeben haben muss, scheint aber kein Weg vorbei zu führen.

Primordiale Nukleosynthese

Im Urkosmos ging es heiß her. Wie heiß? Nun, zumindest so heiß, dass in den ersten Minuten nach dem Urknall Wasserstoffatomkerne, also Protonen, thermonuklear zu Helium, also α-Teilchen, verschmelzen konnten. So etwas findet heutzutage bloß noch im Innern von Sternen statt. Jedes 10-te Atom im Kosmos ist ein Heliumatom. Fast alle Heliumatome verdanken ihr Dasein dem Urknall. Was die Sterne später beigesteuert haben, fällt kaum ins Gewicht.
Nebenbei bemerkt: Ballon-Helium ist nicht vom Urknall, vielmehr vom Uran, genauer vom Uranzerfall. Die Entdeckung des Heliums ist auch so eine spannende Geschichte. Das Element Nr. 2 im Periodensystem (und die Nummer Zwei in der Natur) wurde 1868 bei einer Sonnenfinsternis auf der Sonne gefunden, spektroskopisch. Der Name, nach dem Sonnengott Helios, erinnert daran. Erst viel später, 1895, wurde seine irdische Anwesenheit in einem Uranmineral bemerkt. Helium ist ein Edelgas, eigentlich ein langweiliger Stoff. Es ist viel zu edel und vornehm, als dass es eine chemische Verbindung einginge.

Tatsächlich gibt es eine einfache Erklärung dafür, warum bevor Sterne entstanden jedes 13. Atom ein Heliumatom war. Kurz nach dem Urknall entfielen auf sieben Protonen ein Neutron. (Neutronen sind etwas schwerer als Protonen und deshalb seltener.) Fast alle diese Neutronen sind in Helium verbaut worden. (Und damit für die Ewigkeit gerettet worden. Freie Neutronen zerfallen binnen einer ¼ Stunde.) Aus 14 Protonen und 2 Neutronen kann man 1 Heliumatomkern machen. Zwölf Wasserstoff­atom­kerne bleiben übrigbleiben — also 1 : 13.

Neben Helium sind im heißen Urknall in Spuren noch andere Elemente erzeugt worden, z.B. Deuterium. Deuterium, schwerer Wasserstoff, wird thermo­nuklear ohne viel Federlesens in Helium umgewandelt. Bloß weil alles so schnell ging — der thermonukleare Spuk war nach wenigen Minuten vorüber — blieb überhaupt Deuterium übrig. Die Theorie erlaubt, aus der verbliebenen Deuteriummenge auf den Baryonen­gehalt des Kosmos zu schließen. Wären mehr als 4% des kosmischen Stoffs baryonisch, dürfte es überhaupt kein Deuterium mehr geben. Es ist der relativ hohe Deuteriumgehalt — auf dreißigtausend H-Atome entfällt ein D-Atom —, der für eine geringe Baryonendichte spricht! Die dunkle Materie in den Galaxien und den Galaxienhaufen kann somit unmöglich baryonischer Natur sein! Es ist schon seltsam, dass gerade der Stoff, mit dem wir uns noch am besten auskennen, jenseits der Sterne, kaum eine Rolle spielt.

Gravitative Strukturbildung

VIRGO-Computersimulation Foto: VIRGO-Consortium

Wie kam es zur heutigen zerklüfteten Struktur des Universums, wo doch alles so ausgesprochen glatt begann? Die Bibel des Kosmologen hebt an mit den Worten «Am Anfang war das Rauschen», gemeint sind uranfängliche (primordiale) Dichteschwankungen quantenhafter Herkunft, wie sie, als Temperaturschwankungen, in der Hinter­grund­strahlung bewahrt sind. An den winzigen «Unebenheiten» von 1:100000 konnte die Schwerkraft angreifen. Sie allein hat das Format dazu. Gravitation gilt als gewaltiger «Rauschverstärker»: Gebiete, wo die Dichte höher als im Mittel war, seilten sich irgendwann von der kosmologischen Expansion ab und fielen in sich zusammen. Sie verhielten sich wie ein Miniaturkosmos mit überkritischer Dichte. Ein solcher Kosmos kontrahiert über kurz oder lang. Unterdichte Gebiete hingegen expandierten schneller als die Umgebung, schoben quasi die Materie vor sich her und erzeugten 100 Millionen Lichtjahre weite «Löcher» in der großräumigen Verteilung der Galaxien (s.u.).

Dummerweise beginnt die gravitative Strukturbildung in Baryonen erst, nachdem sich diese vom Strahlungsfeld gelöst haben, wenige hundertausend Jahre nach dem Urknall. Vorher sind sie, wie durch einen zähen Brei — der Urkosmos war ein Strahlungskosmos —, daran gehindert, frei dahin oder dorthin zu fallen, so wie es die Schwerkraft will. Und nach der Entkopplung reicht leider die Zeit nicht aus, als dass noch sozusagen auf die Schnelle etwas Gescheites in einem sich schnell verdünnisierenden Kosmos hervorgezaubert werden könnte. Eile tat Not. Erste Sterne leuchteten bereits 200 Millionen Jahre nach dem Urknall auf! Man geht daher davon aus, die gravitative Strukturbildung habe sich in einem nicht-baryonischen Material zugetragen, das sich lange vor den Baryonen vom Strahlungsfeld befreit hatte. (Neutrinos entkoppelten beispielsweise schon eine Sekunde nach dem Urknall!) Als die Baryonen noch am Rockzipfel der Strahlung hingen, war die Strukturbildung — unsichtbar! — in dieser "Gespenstermaterie" bereits voll im Gange und hatte latente Spuren hinterlassen. Losgelassen von der Strahlung, brauchten später die Baryonen bloß noch in die vorgeformten Potentialtröge zu fallen, was schnell ging, mussten diese doch nicht erst durch eigene Anstrengung erschaffen werden. Damit es ohne dunkle Materie ginge, müssten die primordialen Schwankungen 10-mal stärker sein als beobachtet!

Computerexperimente vollziehen nach, wie die Strukturbildung in dunkler Materie geschah. Man muss «nur» den freien Fall von Millionen und Abermillionen von Teilchen numerisch verfolgen, wobei auf jedes Teilchen die Anziehungskraft aller anderen wirkt. So etwas zu modellieren, erfordert Supercomputer, obgleich die Gleichung, die alles beschreibt, auf eine Viertel Zeile passt.

Ob die Rechnungen die Wirklichkeit (in einem statistischen Sinne) widerspiegeln, offenbart ein Vergleich mit der gegenwärtigen Galaxienverteilung. Dabei sollte eines nicht vergessen werden. Die Computerbilder zeigen die Verklumpung dunkler Materie, die beobachtete Galaxienverteilung aber die der Baryonen, die ihren Weg in Sterne gefunden haben. Überzeugender wäre, neben der unsichtbaren Materie zugleich den Lebensweg der Baryonen mit zu verfolgen. Daran wird mit Hochdruck gearbeitet. Doch das ist unendlich kompliziert, spielen doch dann Druck, Temperatur und Chemie eine Rolle und muss man zudem noch wissen, wo, wann und wie welche Sterne entstehen.

Doch nicht nur das jetzige Universum muss durch Computer­experimente statistisch akkurat dargestellt werden können, auch das vergangene! Galaxien entwickeln sich. Sie sind nicht plötzlich da und fix und fertig. (Anders als die Sterne in einem Sternsystem, die meist durch vergleichsweise riesige Abstände voneinander getrennt sind, beeinträchtigen sich Galaxien gegenseitig.) Zunächst bildeten sich Zwerggalaxien. Durch gravitative Verschmelzung entstanden im Laufe der Zeit immer größere Sternsysteme. Sternsystemen im Zustand des Verschmelzens werden beobachtet! Galaktischer Kannibalismus — die Großen schlucken die Kleinen — scheint nichts Anrüchiges zu sein. Einige Sterne am Himmel sind «strangers in the night». Sie stammen von jenseits der Galaxis, sind eingefangene Eindringlinge. Des Arktur Wiege stand in einem anderen Sternsystem, wenn nicht alles trügt. Spielt Kannibalismus aber tatsächlich die Rolle, die ihm Computerexperimente beimessen wollen? Das kann nur der Blick in die ferne Vergangenheit entscheiden, als die Galaxien jung waren. Deshalb stierte das Hubble-Weltraumteleskop ein Dutzend Tage lang auf eine einzige Stelle des Himmels (Foto: NASA/HST, 2 MByte!).

Und woraus besteht die dunkle Materie?

Es gibt gute Gründe, die für das Vorherrschen nicht-baryonischer Materie im Universum sprechen. Doch was ist die Natur dieses Materials? Wir wissen lediglich, dass es nicht aus Protonen und Neutronen bestehen kann und sich bisher nur gravitativ, über die Schwerkraft, bemerkbar macht.

Die Situation ist kurios. Es gibt einen Kandidaten für die dunkle Materie, einen guten Bekannten, der aber ansonsten ungeeignet zu sein scheint, und es existieren, leider nur auf dem Papier, jede Menge von Kandidaten, die viel geeigneter als das Neutrino wären, wenn es sie denn wirklich gäbe. Natürlich wird nach diesen Papiertigern gesucht, überall, bei Beschleunigerexperimenten, in Hoch­gebirgs­tunneln und tiefen Berkwerksschächten (um sich von der kosmischen Strahlung weitestgehend abuschirmen). Bislang ohne greifbaren Erfolg.

Das Neutrino wurde 1931 «erfunden», um der Physik aus der Klemme zu helfen. Beim radioaktiven β-Zerfall schienen Energie- wie Drehimpulssatz verletzt. Diese heiligen Kühe zu schlachten, traute sich niemand. Verständlicherweise. Auch ein Physiker muss sich an etwas festhalten können. Das Lückenbüßer-Teilchen sollte nichts wiegen (keine Ruhemasse besitzen), aber Drehimpuls haben. Und die Rechnung ging auf: 1956 wurde das Neutrino nachgewiesen. Inzwischen weiß man, Neutrinos müssen eine Kleinigkeit wiegen. Damit werden sie aber für den Kosmologen interessant. Denn sie sind häufig, fast so häufig wie die Photonen der Hintergrundstrahlung. Auf ein Proton entfallen immerhin ½ Milliarde Neutrinos. Aber da erst hundertausend Neutrinos so schwer wie ein Elektron sind, und das wiegt 2000-mal weniger als ein Proton, fallen sie vermutlich doch nicht groß ins Gewicht.

Hinzu kommt, sie bewegen sich schnell, fast mit Lichtgeschwindigkeit. Aus lichtschnellen Teilchen kann man aber keine Zwerggalaxien basteln. Als sich herausstellte, dass selbst Minigalaxien über dunkle Haloes verfügen, war der Wunschkandidat Neutrino weg vom Fenster. Aus einem "heißen" Neutrinobrei kann man unmöglich die filigrane Struktur des heutigen Universums hervorzaubern. (Für die Astronomie bleibt das Neutrino dennoch wichtig. Ohne Neutrino wäre der Kosmos dunkel ... Doch das ist eine andere Geschichte.)

Man benötigt, was die Strukturbildung anbelangt, sog. "kalte" dunkle Materie, also einen Stoff, dessen Teilchen schwergewichtig und schwerfällig, sprich langsam, sind.

Beim Bestreben, die Welterklärung zu rationalisieren — die Physik ist weit davon entfernt, ein zusammenhängendes Gedankengebäude zu sein, wo alles unter einem Dach friedlich vereint ist —, fallen jede Menge Teilchen an — allein aus Symmetriegründen. So sollte jedes Boson, also ein Teilchen mit ganzzahligem Spin, einen fermionischen Partner haben, ein Teilchen mit halbzahligen Spin, und umgekehrt. Ein Neutralino etwa wöge zwischen 100 und 1000 Protonenmassen.

So etwas wäre als Substrat für die Strukturbildung nicht schlecht.