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Wasser des Lebens

Einst war die Erde öd und leer. Es stank nach vulkanischen Aus­dün­stungen. Anders als bei der Venus schlug sich bei «uns» der Was­ser­dampf nieder. Asteroiden und Kometen brachten das Nass aus eisi­geren Gefilden des Sonnensystems. In den Ozeanen löste sich das üble Kohlendioxid, ein Treibhausgas. Oder war es gar erwünscht? Die Sonne hatte noch nicht die volle Leistung, und ohne Treibhauseffekt wäre es bitter kalt gewesen und alles unter einem Eispanzer be­gra­ben.

Kaum aus dem Gröbsten heraus, Jahrmillionen nach der letzten Bom­bar­dierungs­welle durch Meteoriten (die auch das Mondgesicht model­lierte), wimmelt es von Leben. Mikrofossilien gibt's in 1,9 Jahr­­milli­arden (wenn nicht gar in 3,8 Jahr­­milli­arden) altem Urgestein. Und sie war nicht untätig, die Biosphäre. Kalkfelsen, Eisenerze und der Luftsauerstoff samt Ozonschild gehen auf ihr Konto. Die Blaualgen-Idee, Wasser mittels Licht auf kaltem Wege zu spalten, was eigentlich Tausend Grad erfordert, zeitigte Wirkung: Womit sich die Ko­lo­ni­sa­toren einst vergifteten, Sauerstoff, erwies sich im Nachhinein als Segen. (Die Herausforderung, sich in einer lebensbedrohenden Sauer­stoff­atmosphäre, wo alles «rostet», zu behaupten, musste die Evo­lu­tion beflügeln.) Leben könnte schon lange nicht mehr entstehen: Das Leben selbst hat Urzeugung unmöglich gemacht.

Am Quell des Lebens mögen diverse Lebensformen sich gelabt haben, Mitochondrien beispielsweise. Die winzigen «Kraftwerke» heutiger Zellen, seien einst eigenständige Bakterien gewesen, heißt es. Ihre Fähigkeit, den Schadstoff Sauerstoff verwertend zu bändigen, machte sie zu begehrten Partnern. Der Fortschritt durch die «Sauer­stoff­technologie» ward indes teuer erkauft: Zellen altern.

Mildernde Umstände

Der Baum des Lebens, in dessen Krone wir umhertollen, wuchs i. a. lang­sam. Nur ein Stern wie die Sonne verfügt über den nötigen langen Atem. Auch ist sie ein ruhiger Patron, rotiert gemächlich und neigt deshalb nicht zu tödlichen Strahlungsausbrüchen wie ihre quirligeren Geschwister. Hinzu kommt: Ihre Bahn durch die Weiten der Galaxis scheint glücklich gewählt: Nie kommt sie dem Zentrum zu nahe, wo öfters mal was explodiert, selten kreuzt sie Spiralarme mit ihren be­droh­lichen Sternentstehungsgebieten.

Der größte Brocken unter den Planeten, Jupiter, hat das noch junge Sonnensystem von gefährlichem Bauschutt leergefegt. Dank seiner fällt uns nur noch sporadisch etwas auf den Kopf.

Dem guten Mond wird einiges nachgesagt (vor allem in Bezug aufs Wetter). Nun, abgesehen vom belebenden Gang der Gezeiten, scheint er den Kreisel Erde im Zaum zu halten. Nicht auszudenken, was klimatisch geschehe, schlüge die Erdachse Kapriolen. Gibt es Zivili­sationen gar nur bei «Doppel-Planeten» vom Schlage des Erde-Mond-Systems? Dann wären wir was seltenes.

RNS-Welt?

Woher stammt das Leben? Ist es ein kosmischer Infekt, oder stand, Blitze schleudernd, Pate Zufall einst am warmen Tümpel und hob es aus der Taufe? Wie oft?

Zur Chemie des Lebens gehören zwei: das Eiweiß und sein «Rezept». Letzteres ist in der DNS (Desoxyribonukleinsäure) in Gestalt von 6-Bit-Worten verschlüsselt und lässt sich nur mittels ersterem lesen und kopieren. Das Rezept für das Leseeiweiß, die Replikase, muss in der DNS mit enthalten sein. Eine gewisse Mindestgröße der beteiligten Makromoleküle ist also Voraussetzung. Und das ist das Dilemma. Man kann nicht klein anfangen. Dieser eingespielte Mechanismus kam nicht von ungefähr. Da war eine clevere Vorläufersubstanz, die ihre eigene Vervielfältigung betrieb, Henne und Ei zugleich. War es gar die RNS (Ribo­nuklein­säure), der autokatalytische Fähigkeit nachgesagt wird?

In Fett­augen oder anderswo starteten die ersten Versuche zur chemischen Evolution von Makromolekülen. Abschotten war jedenfalls das Gebot der Stunde. Die Re­ak­ti­ons­part­ner mussten konzentriert, irgendwie beisammen gehalten werden.

An Chemikalien war kein Mangel in der warmen «Ur-Suppe». Amino­säu­ren z. B. gibt's schon im Weltenraum. Wenn schon nicht das Leben selbst, zumindest seine Bausteine sind vom Himmel gefallen!

Freilich, Leben ist nicht bloß Chemie. Spielerisch und ohne Lust zur Perfektion lotet es verfügbare Wirklichkeit aus, verändert sie gar — und begreift so Welt. Lehrreich allein sind die missglückten Anläufe. Das Taumeln vom Niederen zu Höherem — oder wertfreier: vom Einfachen zum Kom­plexen, denn es gibt keinen phylogenetischen Drang zur «Ver­besse­rung»! — war ungewollt. Und es widerspricht nicht der Physik! Alles ist — welch Wunder — in ihren Grundgleichungen und den Rand­be­din­gungen enthalten. Dem Leben, das genetischen Programmen folgt, deswegen Kausalketten anzulegen, wäre indes unangebracht. Wo Erfolg nur zählt, ist Ursache witzlos. Die jüngsten Ablagerungen des Seins — wo es aufs Funktionieren um eines Zweckes wegen ankommt — haben ihre eigenen Gesetze, zusätzliche. (Natürliche Auslese zwängt zwar den «Lebensweg» ein, 100-prozentig vorgeben kann sie ihn nicht: In einer begrenzten Population von Lebe­wesen wird sich irgendeine zufällige «Verbesserung» durch­setzen, nicht unbedingt die beste! Und einmal Geschehenes ist unwiderrufbar: «Es führt kein Weg zurück».)

Exobiologie

Gesetzt, dass Leben mehr Notwendigkeit denn Zufall ist, gar ein «kosmischer Imperativ», sollte es dann nicht auch woanders vor­kommen? Die Frage ist uralt, die Antwort zum Greifen nahe. Der Mars ist wieder ins Visier der Exobiologen geraten. Im Gegensatz zur Erde, wo spätestens nach 500 Millionen Jahren kein Stein mehr auf dem anderen liegt, offenbart der kleinere und deshalb bereits ausgekühlte Mars ein «steinaltes» Antlitz. Rostrote Farbe, ausgetrocknete «Kanäle» oder Wadis, Eiskäppchen an den Polen, Hinweise auf ein vergangenes Magnetfeld, … All dies verdichtet sich zu einem (Wunsch)Bild: der ehedem feuchte Planet, der nach Erlahmen seiner tektonischen Aktivi­tät und dem Verlust seines magnetischen Schutzschilds Wasser und viel Atmosphäre verlor, vielleicht sogar das Leben. Eine Flotte von Mars­robotern geht der Sache nach.

Zielscheiben exobiologischer Forschung sind weiterhin Europa und Titan. Europa, Schlitt­schuh­läufers Traum, umkreist Jupiter. Unterm Eis wird ein Ozean vermutet, wo man Leben erhofft. Titan, der größte Saturnmond, trägt einen Schleier aus organischem Dunst. Vielleicht, dass, wenn die Sonne sich aufplustert, das Leben dort draußen Zu­flucht findet.

Was Leben ist? Ein Beispiel allein, die hiesige Variante, besagt wenig. Der Biologie Sternstunde steht noch aus.

Bildquellen: GOES (GSFC/NASA), Viking orbiter (USGS/NASA), Mars Global Surveyor (JPL/NASA), Mars Pathfinder/Sojourner (JPL/NASA), GALILEO (JPL/NASA), Voyager 2 (NASA)

16.07.2003